Unsere Zeit zu viert!
Marius ist ebenfalls wie Philine und ich achtzehn Jahre alt und soll bis Mitte April in Shangilia bleiben. Er ist der Bruder des Freundes von Josie, den die Kinder schon im September kennenlernen durften, sodass ihnen sofort eine Ähnlichkeit auffiel, als wir den ersten Tripp über das Gelände machten. Besonders die älteren Jungs freuten sich über jemanden, der gerne mit ihnen Fußball spielte – ich drückte mich ja gerne davor.
Marius wurde besonders von den Kleinen komplett inspiziert, gerade die Arm- und Beinbehaarung führte zu einer großen Verwirrung. Mir wurde unterdessen wieder vorgehalten, dass meine Haare zu lang für einen Jungen seien, da Marius ja auch (vergleichbar) kurze Haare hatte. So verging der erste Tag relativ schnell und da wir zu viert waren konnte man abends auch mal Karten spielen und hatte generell auch mal häufiger die Möglichkeit die Zeit individuell mit den Kindern zu verbringen, zum Beispiel mit Geigenunterricht (Philine), Fußballspielen (Marius) oder der Brassband (ich).
Als wir dann am Dienstag zum Markt gingen, um Gemüse und Obst zu holen, erhielt auch Marius einen kenianischen Namen, sodass wir nun alle swahelische Zweitnamen besaßen. Die Kinder freuten sich sehr, dass es nicht mehr nur mich alleine gab, und hingen nun alle ständig in unserer Nähe herum, was hin und wieder dafür sorgte, dass es etwas brauchte bis man von dem Skatepark zur Library kam.
Am Donnerstag wurde es dann stressig, denn es war die Trauerzeremonie für Paul angesetzt. Wir erfuhren jedoch erst am Abend davor davon und hatten mittags bereits eine Tischreservierung in einem Restaurant im 24. Stock eines Hochhauses, welches sich drehte, sodass man die ganze Stadt überblicken konnte. Typisch kenianisch, leider ein wenig zu spät kamen wir dann wieder in Shangilia an, wo die einzelnen Klassen bereits einstudierte Lieder vorsangen. Vor der Bühne war ein Gedenktisch aufgestellt mit einem Bild von Paul, Kerzen und roten Rosen. Die Brassband spielte zwischen den Reden und Worten einiger Freunde und Angehöriger kenianische (Trauer-) Lieder. Es war sehr emotional und ich musste mich zusammenreißen, nicht ebenfalls Tränen zu verdrücken, denn die meisten Kinder weinten oder trauerten für sich, was mich persönlich sehr berührte.
Als die Zeremonie vorbei war, erfuhr ich von Teacher Ken, dass ich am Samstag mit zu der Beerdigung kommen sollte, wo etwa 20 ausgewählte Kinder, dann noch Lehrer, Staff und schließlich die Salvation Army Band von Ken, wo Paul auch drin gewesen war, in den Machakos County außerhalb von Nairobi fahren sollten, wo die Familie von Paul lebte. Via Luftlinie war das Dorf vielleicht 50 km entfernt, per Straße schon knapp 80 bis 100 km und wir fuhren etwa sieben Stunden hin, um dann mit Instrumenten beladen einen Berg hochzuklettern, auf dessen Spitze dann das Anwesen der Familie lag, wo bereits knapp 150 Menschen versammelt waren. Die Beerdigung unterschied sich deutlich von einer Deutschen. Sie war sehr traditionell und Paulo wurde auf dem Grund der Familie beerdigt. Nach ein paar Stunden ging es dann wieder zurück, denn der Weg, den wir noch vor uns hatten, war lang. Auf dem Rückweg, den Berg hinunter, verlief sich unsere Gruppe, die aus ein paar Kindern, Teresia,Teacher Redempter und mir bestand. Erst als uns ein einheimischer aufgabelte und uns den Weg zurück zeigte, fanden wir den Bus und fuhren los. Der Rückweg dauerte dann nur noch fünf Stunden, sodass wir gegen 23:00 Uhr in Shangilia ankamen, wo Philine und Marius schon auf mich warteten.
In der nächsten Woche kochten wir dann ein wenig mit dem neuen Koch William, der die Erfahrungen eines Hotelrestaurant mitbrachte. So gab es selbst gemachte Pommes und Donuts, einen gewaltigen Teller voll, der auch teilweise an die Kinder ging. Außerdem saßen Philine, Rahel und ich häufig in einer Reihe nebeneinander auf dem Skatepark und bekamen die Haare geflochten, bei mir zunächst eher widerstrebend. Marius verschwand unterdessen immer häufiger auf den Fußballplatz, um “mit den Boys“ zu kicken.
Donnerstag verabschiedeten sich Philine und Marius dann nach Naivasha mit Sammy, wo sie auf die Crescent Island fuhren, um wilde Tiere zu sehen und fotografieren. Ich blieb hier in Shangilia und festigte die Beziehung mit dem Staff, indem wir Bananen Pancakes machten und ich ihnen Spiegeleier zeigte, die viele von ihnen gar nicht so kannten.
Abends nahm mich Ken dann mit zu den Proben der Salvation Army. Der Luftweg würde keine 10 Minuten dauern, aber da in Loresho überall gated Communities sind wurde daraus eine 5 bis 6km Wanderung in der beginnenden Dämmerung. Wir spielten vor allem Marschlieder und erzählten Witze. Gegen Ende gingen dann alle in sich und sangen gemeinsam ein Gebetslied. Die tiefen Stimmen erinnerten mich irgendwie an das Zwergenlied aus dem Hobbit und führte zu einem schaurigen Kribbeln auf meiner Haut.
Am nächsten Tag mussten wir und die Kinder uns dann schon von Rahel verabschieden, die leider zurück nach Deutschland musste. Besonders Lydia, die in dem Mathenachhilfeunterricht eine engere Beziehung zu Rahel aufgebaut hatte, hing den ganzen Tag an ihr und war sehr traurig. So versammelten wir uns am Gate und winkten als sie durch das Gate Shangilia verließ und mit dem Motorrad in der Ferne verschwand.