Der erste Monat

Kaum war Josie weg, da war es auf einmal ruhig in meinem Apartment. Keine abendlichen Gespräche mehr, auch niemand mehr, den ich im Zweifel hätte fragen können. Es war ein ungewohntes Gefühl und zum ersten Mal begann ich zu realisieren, dass ich alleine, noch nicht volljährig in einem fremden Land war, weit weg von Zuhause und das erstmal für zwei Monate.
Doch dieses Gefühl sollte nicht lange währen, denn eigentlich hatte ich zu Beginn gar nicht wirklich die Zeit darüber nachzudenken. Ich stürzte mich in den Alltag und begann wohl oder übel viele Dinge zu lernen und meine Zeichenkünste entwickelten sich. Am ersten Abend setzte ich mich zu dem Gottesdienst der Kinder. Der Gottesdienst unterscheidet sich hier aber deutlich von dem, was ich aus Deutschland kannte. Gerade die privaten Gottesdienste, die die Menschen hier selbst organisierten, in diesem Fall war er von den Kindern organisiert, bestehen aus sehr vielen traditionellen Liedern, die die Kinder gemeinsam singen oder die ihnen vorgesungen werden. Am Ende gibt es dann ein „Fürbitteartiges“ Gebet, in denen die Kinder für sich, ihre Familie, Freunden und allen Menschen auf der Erde beten und für all das danken, was sie haben. Nachdem ich also den melodischen Stimmen der Kleinen lauschte, dann aber nach einer Stunde sitzend oder im Rhythmus klatschend auch verdammt müde wurde, verabschiedete ich mich und genoss die Ruhe, die das leere Apartment mit sich brachte.
Die nächsten Tage vergingen schließlich erstmal wie üblich, dadurch dass ich alleine mehr oder weniger gestresst manchmal von A nach B hechtete. Ich nutzte die Zeit, um die ersten Namen zu lernen. Vergeblich, wenn einem 100 Kinder ihren Namen mitteilen und erwarten, dass man ausgerechnet ihren Namen behält. Selbst jetzt tue ich mich noch mit vielen Namen schwer, traue mich mittlerweile aber kaum noch das fünfundzwanzigste Mal nachzufragen. Aber das wird schon noch.
Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um zum Essen zu kommen. Ich muss sagen, dass ich hier diesbezüglich einiges gelernt habe: Nicht hinterfragen, einfach Essen. So schlimm ist es letztlich allerdings nicht, wenn man es geschafft hat, sich daran zu gewöhnen. Montags gibt es immer Githeri, einem Eintopf aus roten Bohnen und Mais, welches bei mir erstmal für einen grummelnden Magen sorgte, so dass ich froh war, mein Apartment aktuell mit niemanden mehr zu teilen. Der harte Mais und die trockenen Bohnen waren eher nicht so meins. Dienstags folgt dann meiner Meinung nach ein fast deutsches Gericht: Eine Linsensuppenartige Soße mit Reis, die sich durchaus sehr gut essen lässt. Am Mittwoch gibt es dann das „Nationalgericht“ Kenias: Ugali mit Sukuma Wiki. Auf deutsch: Maisbrei mit grünkohlartigem Gemüse. Sukuma Wiki heißt „Die Woche überbcücken“ und erinnert etwas an den deutschen Grünkohl. Daran konnte ich mich auch gewöhnen. Damit es nicht zu langweilig wird, wiederholen sich die drei Mahlzeiten am Donnerstag, Freitag und Samstag. Für mich war das Essen ein Schritt aus meiner Komfortzone raus, denn Abwechslung hielt sich in Grenzen und ich freue mich immer noch darauf donnerstags rauszukommen, um dann auch mal einen anderen Geschmack auf den Lippen zu haben. Auf eines mag ich aber nicht verzichten. Sonntags gibt es abends immer Chapati, eine ursprünglich indische Art einen Teig ähnlich wie Naan-/Fladenbrot zu machen, für das die älteren Jungen morgens um 5:00 Uhr aufstehen, um es vorzubereiten. Ich kann nur sagen, mir ist es zu früh, aber ich bin sehr glücklich darüber, dass sie das nicht so sehen.
Gelegentlich bekommen die Kinder auch Obst oder einen Salat aus frischem Gemüse vom Markt. Das erste Mal mit Sammy zum Markt zu gehen und eben diese Dinge zu besorgen, war ein absolutes Highlight für mich, sodass ich ihn seitdem fast jeden Samstag begleitete. Der Weg ist zwar relativ lang und die pralle Sonne selbst am Vormittag setzt da noch einen drauf, doch die Auswahl an Obst und Gemüse ist unvergleichbar. Gerade das Obst ist zu einer meiner Schwächen geworden. Ich hätte es nie geglaubt, wenn ich es nicht selbst geschmeckt hätte, aber die Intensivität des Geschmacks ist um ein Infinit stärker als die importierten Früchte in Deutschland. Das ist es auf jeden Fall Wert den doch sehr langen Weg auf sich zu nehmen. Zurück gibt es dann hin und wieder ein Boda Boda, ein Motorrad-Taxi, das uns fährt. Was ich jedoch niemanden empfehlen kann, ist nach dem Regen zum Markt zu gehen, denn die Straßen zum Markt sind nicht gepflastert, sondern lehmig, und quellen auf, wenn es geregnet hat. So ist einerseits der Weg erschwert und andererseits kann es auch unglaublich ekelig sein, wenn man den ganzen Straßenmatch am Bein kleben hat. Dennoch bin ich froh über die Erfahrung und zolle den Menschen hier, die damit täglich zu kämpfen haben, großen Respekt.
Donnerstags, an meinem freien Tag, begann ich die Stadt zu erkunden, besichtigte die Einkaufszentren, spazierte durch den Karura Forest. So vergingen schließlich die ersten Wochen und mein Geburtstag rückte näher. Auf der einen Seite freute ich mich drauf, auf der anderen Seite fürchtete ich mich ein wenig vor den Plänen der Kinder. Denn es sollte mich eine durchaus nicht unböse Überraschung erwarten, eine Tradition, die die Volontäre vor mir teilweise schon erleben durften. Der Tradition nach wurden die Volontäre von den Kindern gewaschen, was bedeutet, dass die Kinder mit teilweise schlammigen Wassereimern angerannt kamen und sie über die unglückliche Person, die Geburtstag hatte, kippten.
So kam es dann aber glücklicherweise nicht, denn in der Woche war das Wasser ausgefallen – unschöne Erfahrung – sodass gespart werden musste. Die Kinder kamen „nur“ Tassenweise mit Wasser an, dass aber relativ sauber war, hoffe ich zumindest. Also rannte ich und nahm die kleinsten als Schutzschild, zwar unfair, aber das Wasser war ziemlich kalt. Nach einer fünfzehnminütigen Wasserschlacht und Verfolgungsjagd endete das Geschehen auch schon, denn die Kinder mussten wieder in den Unterricht. Als dieser jedoch vorbei war, konnten sie sich auf Süßigkeiten und Ballons freuen, die ich den ganzen morgen aufgeblasen hatte. Ich glaube, ich habe immer noch die ein oder andere Druckstelle auf meinen Fingern vom vielen Knoten.
Der Monat endete schließlich mit einer wunderschönen Safari im Nairobi National Park, die mir meine Eltern zum Geburtstag geschenkt hatten. Ich hatte Glück und alle Tiere bis auf die Fleischfresser zeigten sich – auch vor dem Hintergrund der Skyline Nairobis. Langsam bekam ich das Gefühl, mich hier eingelebt zu haben.