Karibu na Kwaheri
Karibu,
Nachdem mein letzter Eintrag inzwischen eineinhalb Jahre her ist, melde ich mich wieder zurück und ich freue mich sagen zu können „See you again, Shangilia“. Nach einem sehr langen Flug mit Umstieg ohne Schlaf, kam ich sehr früh morgens in Kenia an. Ein strahlender Mwangi, der mich vom Flughafen abholen sollte, stand schon da. Als wir in Shangilia reinfuhren hatte ich das Gefühl, als wäre ich nach langer Zeit wieder zuhause anzukommen, und nach einem kurzen Schläfchen machte ich mich auf den Weg zu den Kindern. Viele Bekannte aber auch neue Gesichter erwarteten mich und das Jonglieren mit den Namen konnte losgehen: „Erinnerst du dich an mich?“, „Wie heiße ich?“. Es war schwierig neue und alte Kinder, die in der Zeit meiner Abwesenheit nochmal größer geworden waren, zu unterscheiden und jeden Namen richtig zuzuordnen. Insgesamt würde ich meine Quote so bei zwei Drittel schätzen.
Also begannen die ersten Tage hier und sie vergingen schnell. Wir spielten neue Spiele in der Library (Bücherei/Spielezimmer), die damals definitiv noch nicht hier waren, und ich vermisste alte Spiele, die nicht mehr hier waren. Bei knapp 200 Kindern gibt es in zwei Jahren schließlich auch ein wenig verschleiß. Ich entwirrte Knoten aus Angelspielen, suchte Puzzleteile, die versehentlich in die falsche Box geraten sind, spielte stundenlang Uno, Viergewinnt Memory. Alles beim Alten.
Außerdem begann in der ersten Woche die Maisernte im Garten, wo die Kinder etwa ein halbes Hektarmaisfeld ernteten. Die Größeren schlugen die einzelnen Pflanzen ab und der Rest suchte dann nach den Kolben und puhlte die Blätter ab. Fast einen ganzen Tag brauchten wir, bis wir alle Kolben zum Trocknen zum Lagerplatz in den Pavillon gebracht hatten, wo sie dann nochmal eine halbe Woche lagen. Danach begann jeden Nachmittag das Puhlen von dem Mais aus dem Kolben. Die Reibung sorgte für die ein oder andere Brandblase auf meinen Händen, aber letztendlich war die Arbeit sehr spaßig und genoss die Zeit mit den Kindern. Manche Kinder machten aus den Kolben kleine Kunstwerke, indem sie Motive aus Mais freipuhlten. Andere entwickelten effektive Techniken möglichst schnell den Korn freizubekommen und zeigten mir diese. Am Ende saßen wir alle gemeinsam auf einem Strand aus Korn und machten „Maisengel“. Das Mais wurde schließlich noch weiter getrocknet und dafür tagsüber in die Sonne gelegt, um es später zu Maismehl weiterzuverarbeiten, woraus man die Nationalspeise Ugali zaubern konnte.
Weinige Tage später fand Uta, eine alte Bekannte aus meiner letzten Zeit hier in Nairobi, mit ihrer Familie den Weg nach Shangilia und planten für die Kinder eine Safari in den Nationalpark. Abends kochten wir gemeinsam unterhielten uns über den Matheunterricht in Shangilia, da Uta, welche Grundschullehrerin ist, die kenianischen Lehrer weiterbildet, damit die Kinder das Mengensystem besser verstehen, was bei der Vorstellung von den Grundrechenarten helfen soll. Nach ein paar Tagen ging es für sie aber wieder zurück und ich hatte noch einen Tag mit den Kindern auf dem Skatepark bevor die Ferien beginnen sollten. Abschließend zu der Schulzeit performten die einzelnen Klassen Lieder und Gedichte. Eine Gruppe sang „Barbie Girl“ und entwickelte dazu eine Choreo, was mich dazu brachte den Film später auch im Westgate Cinema (Kino) zuschauen.
Ferien in Shangilia bedeuten zwei Dinge. 1. Viele Kinder gehen zurück nach Hause und es bleiben nur noch die Kinder die keine Eltern haben, deren Familiensituationen zu schlecht sind oder deren Eltern zu weit weg leben, um sie abzuholen. Viele dieser Kinder wird diese Situation wieder bewusst und die ersten paar Tage muss man spaßige Dinge tun, um sie davon abzulenken. 2. Es gibt keine Schule mehr und der ganze Zeitplan verschiebt sich. Die Konsequenz man muss Lücken füllen ohne den alten Plan so zu verändern, dass man zu Beginn der Schulzeit Probleme mit den Kindern bekommt, weil sie nicht mehr so viel extra Aktivitäten haben. Dieses schmale Raster ist eine kleine Kunst zu füllen, gerade wenn man alleine ist. Mit der Sozialarbeiterin sprach ich mich so ab, dass ich die Library (Spielzimmer) nun täglich für eine Gruppe der Kinder öffneten und einen weiteren Filmeabend in der Woche einführten und sie für ein paar abwechslungsreiche Aktivitäten sorgte am Vormittag. Desweiteren nutzte ich die Zeit um mehr mit der Brassband zu proben, die an einem nationalen Wettbewerb teilnehmen sollte. Ich erfuhr jedoch, dass aufgrund von einem Anmeldungsfehler nur eine begrenzte Anzahl an Bandmitgliedern hinfahren durfte, sodass ich selbstverständlich auf den Platz, der mir angeboten wurde, verzichtete. Am Ende erhielten die Kinder den zweiten Platz, worauf sie sehr stolz sein durften!
Bevor ich zur zweiten Hälfte meiner Zeit komme, wollte ich einen kleinen Vergleichscheck starten. Das zweite Mal in Shangilia: Wie haben sich meine Gewohnheiten verändert:
- Ich wurde nicht mehr krank vom Essen und liebe Githeri (Mais-Bohnen Gericht).
- Die Stände am Markt haben sich nicht verändert und wurden auch nur unwesentlich teurer.
- Donnerstag war immer noch mein freier Tag.
- Die Kinder machten immer noch Bemerkungen zu meinen langen Haaren, wobei ich mehr Befürworter bekommen habe.
- Kenianischer Chai (Tee) am Abend in Shangilia bleibt Tradition.
Fazit: Vieles hat sich nicht verändert und ich persönlich wurde offener und vermisste sogar manche kenianischen Speisen, die ich damals nicht so gerne mochte.
Die zweite Hälfte meines Aufenthalts wurde durch die Ankunft von Ida und Caro eingeleitet, welche beide nun vier Monate in Shangilia verbringen sollten. Meine Aufgabe sollte es also von nun an sein, die beiden einzuarbeiten und auf ihre Zeit alleine vorzubereiten. Nachdem die Kinder zunächst sehr zurückhaltend waren, dauerte es ein paar Tage bis sie sich an die beiden neuen Volontärinnen gewöhnt hatten. Das erste Mal soweit von zuhause weg in einer fremden Kultur, fremden Menschen und auf sich gestellt. Ich erinnerte mich an meine Zeit ganz am Anfang und konnte mit den beiden mitfühlen. Soweit ich das beurteilen konnte und durfte, fanden sie sich gut zurecht, gewöhnten sich schnell und freuten sich auf die Zeit mit den Kindern. Es gab viele Fragen, die wir zusammen klären konnten, und auch viel Organisatorisches, was geklärt werden musste. Wo geht man in Nairobi einkaufen? Wie kommt man dahin? Wann hat man frei und was kann man in der Freizeit machen? Wie kann man sich mit persönlichen Interessen in Shangilia einbringen? Etc.
Die Zeit mit den beiden verging schnell. Wir spielten nun zu dritt mit den Kindern in der Library, öffneten zu dritt den Skatepark, schauten zu dritt Filme mit den Kindern und hatten die Möglichkeiten noch mehr Sachen zu machen, wie Tischtennis zu spielen, Bänder zu flechten, Mandala zu malen… Dies ermöglichte mir auch die Zeit mehr persönlichen Kontakt auch zu einzelnen Kindern zu pflegen und wie bereits erwähnt hat sich in den zwei Jahren viel verändert. Es gab einige neue Kinder wie Sheky, die mich noch nicht kannten, aber sehr anhänglich waren und aus irgendeinem Grund so taten, als würden sie mich schon seit Ewigkeiten kennen. Die neuen Kinder führten zu Veränderung, brachten neue Eigenarten mit und sorgten für neue Herausforderungen, die das Erlebnis nochmal komplett veränderten. Die alteingesessenen Kinder hatten sich jedoch auch verändert. Viele von ihnen sind reifer geworden und haben stärker geprägte Persönlichkeiten bekommen und die Beziehung zu den Kindern hatte sich verändert. Das Zurückkommen verändert einiges. Die Bindung, die ich in sechs Monaten zu den Kindern entwickelt habe war stark gewesen, aber nichts im Vergleich zu diesen vier Wochen. Es war als hätte sich ein Schalter bei manchen Kindern umgelegt und als würden sie verstehen, dass ich jetzt nicht mehr jemand war, der einfach nur ein halbes Jahr da war und dann für immer verschwindet. Gerade auch ältere Kinder zeigten nun mehr Interesse und wir konnten tiefgründigere Gespräche führen. Die Deutsche Geschichte war gerade bei den Highschool Schüler:innen sehr beliebt und die Perspektive durchaus anders als unsere. In Kenia werden alte Generäle und Führungspersonen geehrt, egal was sie getan haben und ich musste ihnen erklären, dass wir in Deutschland eine schwierige Vergangenheit haben (im Hinblick auf die Weltkriege), die man nicht beehren kann. Das war für sie etwas Neues und wir haben viel darüber diskutiert und gegenseitige Fragen gestellt. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass ich dieses Mal ernster genommen wurde und gerade auch die Älteren mich als eine Respektsperson behandelt haben, wo ich vor zwei Jahren gerne auch Mal ignoriert wurde, wenn ich gesagt hatte, dass der Skatepark aufgeräumt werden muss.
Es gab immer noch Deutschunterricht für die Joyce (aus dem Sekretariat), Teresia (einer Chemiestudentin) und zwei Schüler aus der achten und neunten Klasse. Als einmal das neu angeschaffte WLAN nicht funktionierte und ich die Deutschstunde improvisieren sollte, sprachen wir viel über die Perspektiven der Menschen in Kenia und verglichen sie mit meinen Schilderungen aus Deutschland. Der Preis meiner Miete und was ich dafür bekomme, hat sie schockiert, aber andere Sachen hingegen sind bei uns günstiger, wie gute Handys oder Nutella. Diese Stunde gab mir und den Kenianern die Chance nochmal mehr übereinander zu lernen und hat den Kontakt intensiviert, wozu sonst häufig die Zeit fehlt.
Meine Zeit in Shangilia lief jedoch aufs Ende hinaus und meine Verabschiedung rückte näher. Drei Tage bevor ich zurückflog verabschiedete ich mich bereits von allen, damit es nicht zu einer schmerzlichen Trennung kommen konnte, und Ida, Caro und ich veranstalteten eine Wasserbombenschlacht gegen die Kinder, die wir … Überraschung … gew… in der wir sehr nass wurden. Außerdem gab es ein paar Süßigkeiten. Hinterher wurde sich aber noch beschwert, dass ich jedem Kinder ja noch einen extra Ballon zum behalten hätte geben sollen. Nochmal zweihundert weitere Ballons wachsen schließlich an Avocadobäumen. Am vorletzten Tag machte ich mit Ida und Caro noch eine kleine Safari nach Naivasha, um diesmal zumindest einen kleinen Einblick in die kenianische Landschaft zu bekommen. Dabei verbrannte ich mir das ganze Gesicht, den Nacken und meine Arme.
Mit einem letzten abendlichen Gottesdienst, bei dem die Kinder viele Lieder sangen und auch wir Volontär:innen „Mögen die Straßen uns zusammenführen“ vorsangen, und einem letzten Film „Karate Kid“ wurde mein letzter Tag eingeleitet. Was mich hier sehr berühte war, dass wir parallel einen Zeichentrickfilm für die Kleinen angeboten haben und ich dort einen großen Jungen zwischen den Winzlingen sah, der sonst eher ärger macht und der ständig das Gefühl hat, sich beweisen zu müssen. Wirklich jedes Kind hat seine eigene Geschichte und Gefühlswelt und das sagt mir, dass ich beim nächsten Besuch nochmal klarer im Auge haben muss, dass es Gründe gibt, wieso manche Kinder Probleme machen und ich noch offener dafür sein muss auch diesen Kindern noch mehr Gehör zu schenken, auch wenn sie sich egoistisch und unhöflich verhalten.
Am letzten Abend kochten wir Chapati mit Guacamole und Salsa und luden ein paar Staffmitglieder ein, wo ich mich dann abschließend verabschiedete. Für die Kinder lass ich nochmal zum Schlafengehen ein letztes Buch vor und zog mich dann schnell in unser Apartment zurück, um nicht zu emotional zu werden. Meine Zeit war zuende, viel zu kurz und zu schnell vorbei gewesen. Ida und Caro wünschte ich noch alles Gute und eine erfahrungsreiche Zeit und dann brachte Mwangi mich zum Flughafen.
Shangilia ist an mein Herz gewachsen. Die Kinder sind an mein Herz gewachsen. Die Lehrer und alle anderen Menschen sind an mein Herz gewachsen. Ich denke an einen Ort zurück, wo ich mich zuhause und willkommen fühle und bedanke mich für jeden Tag, den ich dort erneut verbringen durfte. Meiner letzten Reflexion vor eineinhalb Jahren möchte ich etwas hinzufügen: Es macht einen Unterschied zurückzukommen! „See you again, Shangilia.“
Kwaheri