Kwaheri, Shangilia!

 

Zwar sind natürlich, wie es eigentlich jeden Tag in Shangilia der Fall ist, noch unglaublich viele Dinge passiert, von denen ich euch gerne berichten würde, aber da ich ja schon angekündigt hatte, dass dieser Beitrag mein letzter werden würde und ich irgendwann ja auch mal zum Ende kommen muss, widme ich mich nun meinem Abschied.
Kurz vor meiner Abreise nach Deutschland wurden in Kenia die ersten drei Fälle von Corona-Infektionen festgestellt. Für alle deutschen Leser*innen ist es wahrscheinlich sehr anstrengend, überall von diesem blöden Virus zu hören, aber zum einen ging uns das Thema im quasi nicht betroffenen Kenia nicht so auf die Nerven und zum anderen hängt es leider mit meiner Abreise zusammen, sodass ich es leider erwähnen muss.
Durch weltweit in Kraft tretende neue Ein- und Ausreisebestimmungen zur Eindämmung des Virus war auf einmal nicht mehr klar, ob meine Mutter (die ein Teil von Shangilia Deutschland ist und mich coolerweise mit einer Woche Aufenthalt in Shangilia abholte, also gemeinsam mit mir zurückfliegen würde) ich am Flughafen rausgelassen werden würden. Schon einige Tage vor unserem Flug schauten wir also andauernd nach, ob er wirklich gehen würde und versuchten, uns bestmöglich bezüglich der Bestimmungen zu informieren. Für mich war das einerseits stressig und ich machte mir Sorgen, obwohl ich es wirklich nicht allzu tragisch gefunden hätte, hätte ich noch länger in Shangilia bleiben müssen. Andererseits war diese ganze Aufregung im Nachhinein betrachtet auch etwas Gutes, da ich mich durch die vielen anderen Gedanken emotional nicht so stark mit meinem Abschied auseinandersetzen musste, bzw. konnte, was mich vor einem Zusammenbruch während meiner Verabschiedung bewahrte.
Nicht nur dadurch hatte Corona Einfluss auf meinen Abschied. Da die kenianische Regierung eben wesentlich früher präventiv auf das Virus reagierte, als das z.B. in Deutschland der Fall war, mussten ab dem Tag vor meiner Abreise alle Schulen schließen, so auch unsere. Dadurch wurden erst alle Community Kids nach Hause geschickt und später auch möglichst viele in house-Kinder, bei denen man das verantworten konnte, damit bei einer möglichen Übertragung des Virus nach Shangilia möglichst wenige Kinder gefährdet wären. Da wir darüber nur mäßig informiert waren, konnte ich mich vom Großteil der Community- und einigen in house-Kindern nicht verabschieden, was mich sehr traurig gemacht hat, da ich auch nicht wusste, ob vor allem den Community Kids klar war, dass ich während ihrer Zeit zuhause zurück nach Deutschland gehen würde und sie mich also bei ihrer Rückkehr nicht wiedersehen würden.
Für die verbliebenen Kinder versuchte ich aber natürlich trotzdem, einen bestmöglichen Abschied zu organisieren, indem ich zum einen den halben Vormittag in unserer Küche verbrachte, um French Toast (auch bekannt als „Armer Ritter“) in Massen zu produzieren und zum anderen mit Theresas großartiger Hilfe zur Erinnerung ein T-Shirt von allen Kindern unterschreiben zu lassen. Während ich in der Küche stand bekamen wir noch von uns allen nicht vorhergesehenen Überraschungsbesuch von Reuben (dessen Abschied ich im letzten Beitrag beschrieben hatte). Er war wegen eines Gesprächs mit Mr. Njenga, unserem Heimleiter, nach Shangilia gekommen und schaute bei der Gelegenheit bei uns rein, was uns alle sehr freute, besonders bei all den negativen Dingen um uns herum. Auch dadurch, dass neben Reuben auch noch andere Shangilia-Grundschulabgänger*innen gekommen waren, weil natürlich auch die Secondary Schools wegen Corona geschlossen hatten.
Also stand ich am Nachmittag im Speisesaal einer eher Ferienalltag-üblichen Shangilia-Gemeinde gegenüber, als ich die French Toasts verteilte und ein paar spontane Abschiedsworte zusammenstammelte. Auch in der unüblicheren Konstellation bekam ich aber das typische Abschiedslied von allen gesungen, das jedes Mal für Gänsehaut sorgt und sowohl unsere Sozialarbeiterin Pauline, als auch unsere Hausmutter Joyce wurden von Teacher Ken ermutigt, ein paar Worte zu sagen. Auch Faith Kamara aus der achten Klasse (die mir auch ein kleines „Farewell-Plakat“ überreichte) und Ken selbst sagten noch etwas und als sich dann auch noch meine Mutter vor allen verabschieden musste, wurden die Kinder etwas ungeduldig. Deshalb freuten sie sich umso mehr, als ich ihnen neue Bänder einer allgemein beliebten Bilderbuchreihe (sehr gut zum Vorlesen geeignet!) übereichte und sie endlich das French Toast bekamen. Vor meiner Abfahrt veranstaltete Theresa noch ein kleines Foto-Shooting, da viele der Kinder noch letzte Fotos mit mir machen wollten. Irgendwann musste ich mich dann aber leider loseisen, weil unser Fahrer Mwangi wie immer pünktlich loswollte. Der Abschied von Theresa und Jonas war zum Glück nur ein Abschied für möglichst kurze Zeit, weil wir alle uns bald in Deutschland wiedersehen wollen.
So kam es dann, dass ich ein paar Stunden später (überraschenderweise ohne Kompliaktionen oder besondere Kontrollen) im Flugzeug saß und in all der Eile und Aufregung noch nicht realisiert hatte, was ich da überhaupt machte. Selbst beim schönen Wiedersehen mit dem Rest meiner Familie und dem weniger schönen Wiedersehen mit den eisigen Temperaturen am Frankfurter Flughafen, realisierte ich noch nicht wirklich, dass ich tatsächlich die Kinder aus Shangilia verlassen hatte und sie für unbestimmte Zeit nicht sehen würde. Die Kinder, die ich sechs Monate lang fast durchgängig jeden Tag gesehen hatte und die mir ausnahmslos ans Herz gewachsen waren.
Auch nach einiger Zeit, die ich jetzt zuhause verbracht habe, ist der ganze Abschied noch nicht richtig zu mir durchgedrungen, aber das ist auch in Ordnung, denn eins weiß ich: dass ich jederzeit in Shangilia willkommen bin und dort eine zweite Familie gefunden habe.

Nach diesem schnulzigen Abschied noch eine kleine Anmerkung, um etwaiger Verwirrung vorzubeugen: durch die Corona-Krise ist es momentan nicht möglich, aus Deutschland nach Kenia zu kommen, wodurch auf unbestimmte Zeit auch keine Volontär*innen nach Shangilia kommen können. Wegen der unübersichtlichen Lage und vor allem schlecht vorhersehbaren zukünftigen Reisebestimmungen, mussten leider sogar Jonas und Theresa verfrüht nach Deutschland fliegen, was natürlich für alle Beteiligten sehr doof ist. Damit hat Shangilia jetzt für längere Zeit keine Freiwilligen zur Unterstützung da, was vor allem für die Kinder und deren Freizeitgestaltung ärgerlich ist. Wir lassen uns aber davon nicht herunterziehen und versuchen, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Oberste Priorität ist aktuell selbstverständlich die Gesundheit der Kinder und Erwachsenen in Shangilia.
In diesem Sinne möchte ich mich für eure Begleitung meiner Zeit in Shangilia durchs Lesen dieses Blogs bedanken und hoffe, ihr bleibt alle gesund!