Letztes Update

 

Zum voraussichtlich letzten Mal berichte ich aus meiner Perspektive aus Shangilia, da ich mich heute in einer Woche verabschieden muss.
Schon vor meinem Abschied verließen zwei weitere Menschen Shangilia: einerseits Nadin, die nach einem Monat des Besuchens wieder nach Deutschland zur Uni musste. So schwer ihr der Abschied auch fiel und wir mit ihr fühlten, so viel schlimmer war es für uns alle, den Kindern beim sich Verabschieden zuzuschauen. Viele hatten Nadin schon im Vorhinein gebeten, doch bitte hier zu bleiben und als sie sich dann selbst weinend in der Dining Hall verabschiedete, flossen auch bei den Kindern viele Tränen. Da Nadins Flug storniert und sie deshalb umgebucht worden war, hatte sie zwar einige Komplikationen bezüglich ihres Heimwegs. Dadurch, dass sie so aber am Mittwochmorgen anstelle des Dienstagsabends flog, hatte sie die Möglichkeit, sich in Ruhe von den Kindern zu verabschieden, inklusive Vorlesen und ins Bett Bringens. Auch wir verabschiedeten uns dann vorm Schlafengehen von ihr mit dem Versprechen, nächstes Jahr gemeinsam (in Köln) Karneval zu feiern – und uns natürlich im Idealfall schon vorher gemeinsam wiederzusehen.
Der andere Abschied war ebenfalls sowohl für uns als auch für die Kinder schwer: ungefähr seit Ende des letzten Schuljahres war Reuben dauerhaft hier, ein alteingesessenes Shangilia-Mitglied, das die Secondary School abgeschlossen hatte und seine Übergangsphase hier verbrachte. Reuben ist in unserem Alterund in demselben Lebensabschnitt wie wir und stellte so für uns einen anderen Gesprächspartner dar als die jüngeren Kinder. Auch für ihn war es vermutlich ganz cool, nach Abschluss der Schule noch Kontakt zu Gleichaltrigen zu haben – kurzum verstanden wir alle uns recht gut. Deshalb war es für uns auch eine traurige Überraschung als er uns eines morgens mitteilte, dass er am darauffolgenden Tag frühmorgens nach Hause, also zu seiner Mutter fahren würde. Von dort aus würde er sich dann voraussichtlich ab Mai auf den Weg zum College machen, um eine Ausbildung zum Musiktechniker zu beginnen. Da wir wussten, dass seine Mutter prinzipiell nicht langfristig für ihn sorgen kann und dass die Gegend, in der diese wohnt voller gefährlicher Einflüsse auf einen Jugendlichen ist, waren und sind wir noch immer besorgt um ihn und hoffen natürlich das Beste, dass er also seine Pläne so umsetzen kann, wie er sich das vorstellt. Um ums halbwegs gebührend, wenn auch leider ungeplant zu verabschieden, luden wir Reuben deshalb spontan in unser Apartment zu Keksen und „Kniffel“, das er gerne noch lernen wollte, ein. Zwar war es natürlich für ihn eine sehr ungewohnte Situation, trotzdem verbrachten wir eine schöne und sehr lustige Zeit gemeinsam und fühlten uns so, als hätten wir ihm zumindest ansatzweise einen schönen Abschied bereitet. Auch den Kindern, von denen ihn viele als großen, coolen Bruder sahen, fiel das Verabschieden dennoch schwer. Sie sehen ihn aber schon während der nächsten Ferien des Colleges wieder.
Da Nadin zurück nach Deutschland gereist war, erlebte Teresa, die damals mit ihr hier gewesen war, nun einen neuen Zustand: sie war ja noch nie ohne Nadin in Shangilia gewesen. Da die Ehemaligen immer andere Aufgaben als die regulären Volontär*innen haben, suchte Teresa sich deshalb ein Projekt für die Zeit, in der sie nicht mit uns mit den Kindern arbeitet und begann dankenswerterweise, die Bücherei aufzuräumen. Es gab viele neue Bücher, die noch thematisch in die Regale eingeräumt werden mussten und diese mussten eh wieder etwas geordnet werden. Als diese Sortierung abgeschlossen war, widmete sie sich mit unserer Hilfe den Gesellschaftsspielen. Besonders die Puzzles mussten aussortiert werden, weshalb wir die gesamte mittlerweile recht große Sammlung einmal durch puzzelten, wobei wir uns dann auch die Kinder zur Unterstützung holen konnten, die sonst nicht in die vollgestopfte Bücherei hätten kommen können. Mittlerweile sind wir aber fast fertig und es sieht sehr viel besser aus als vorher, auch wenn uns selbstverständlich klar ist, dass die Ordnung nicht lange bestehen wird, schließlich spielen täglich viele Kinder mit all diesen Spielen.
Ein anderes Projekt, das zwischendurch in Shangilia, aber lustigerweise sowohl unabhängig sowohl von den Kindern als auch von uns stattgefunden hatte, war ein Musikvideodreh. War der kenianische junge Gospelsänger „Shorty Baba“ auf dem aufsteigenden Ast zwar angetan von Shangilia und den Kindern, so ging es ihm bei seinem Video nur um unseren Skatepark. Den fand er verständlicherweise so schön, dass er ihn als Kulisse für den Dreh benutzte. So kam es dazu, dass wir am Drehtag eine große Gruppe Kinder außergewöhnlich ruhig am Rand des Skateparks auf einer Mauer aufgereiht stehen sah, da alle von den Dreharbeiten inklusive Tanzgruppe fasziniert waren. Trotz der Faszination waren aber gerade die Jüngeren sehr enttäuscht davon, dass sie durch den Dreh an dem Tag nicht skaten konnten.
Aus einem anderen Grund konnten sie dies leider kurz darauf wieder mehrmals nicht, da auf unserem großen Maisfeld die Ernte stattgefunden hatte. Nachdem die unglaublich vielen Kolben in der Sonne getrocknet worden waren, kamen die Kinder und wir und dadurch der Zeitmangel zum Skaten ins Spiel. In anderen, landwirtschaftlicheren Einrichtungen gibt es dafür Maschinen, bei uns dafür viele motivierte Helfer*innen: um den Mais zum Kochen benutzen zu können, mussten die Körner von den Kolben gelöst werden und das passiert in Shangilia mit Hilfe von piddelnden Händen, teilweise unterstützt von Messern oder Löffeln. Diese Arbeit geht zwar ganz schön auf die Gelenke und Haut der Daumen, besonders bei so ungeübten Händen wie unseren, mit wachsender Menge an Maiskörnern nimmt aber auch der Spaß zu, denn irgendwann werden Sand-ähnliche Spiele möglich – natürlich vergräbt man sich aber nur dann gegenseitig, sobald John, unser Koch und Maispiddel-Verantwortlicher nicht hinschaut. Auch wenn die Kinder dadurch teilweise keine Zeit zum Skaten hatten, das Pulen anstrengend ist und man beim Umziehen abends wirklich überall noch Mais findet, hatten wir eine coole Zeit mit den Kindern. Für uns ist es außerdem eine coole Erfahrung und das Erlernen einer nützlichen Fähigkeit – ich habe dieses Mal schon eine deutliche Geschwindigkeitssteigerung im Vergleich zur letzten Ernte im September bemerkt!
Eine weitere coole Erfahrung für Theresa, Teresa und mich war die Übernachtung in einem Schlafsaal der Mädchen. Wie bereits erwähnt, hatte ich schon in den Ferien, während Jonas in Mombasa war, in einem der Schlafsäle geschlafen und weil beide T(h)eresas von der Idee begeistert waren beschlossen wir, das Ganze zu dritt zu wiederholen. Deshalb sagten wir Joyce, der Hausmama, Bescheid und sie wies uns einen Schlafsaal zu, in dem noch mindestens drei Betten frei waren. So schulterten wir am Samstagabend unser gesamtes Bettzeug und machten uns auf den Weg zu unserer Mini-Übernachtungsparty. Im Flur bei den Schlafsälen wurden wir dann herzlichst willkommen geheißen und zu unseren Betten gebeten, die alle schön nebeneinanderstanden und die wir, von faszinierten Kindern beobachtet, bezogen. Dann lasen wir noch die tägliche Gute-Nacht-Geschichte in einem belebteren Schlafsaal (momentan gibt es vier bei den Mädchen) vor und brachten die kleinen Mädels ins Bett. Als wir dann zurück in unseren Schlafsaal kamen, um langsam ins Bett zu gehen, waren wir davon noch weit entfernt, denn zusätzlich zu den vier aufgeregten Mädchen, bei denen wir schliefen, kamen noch weitere zu uns, um uns zu kitzeln, mit uns zu quatschen und so weiter. Dabei erzählte Stacey aus der zweiten Klasse, die im letzten Jahr nach Shangilia gekommen war, mir von sich aus auf einmal ihre Geschichte, also wie und weshalb sie und ihre zwei Geschwister zu uns gekommen waren. Alle ehemaligen Volontär*innen werden verstehen, wie besonders das für uns war, da die Kinder sehr selten über ihre familiären Hintergründe reden, wenn sie denn selbst darüber Bescheid wissen. Von Stacey gerührt schafften wir es dann, so langsam allen Mädels eine Gute Nacht zu wünschen und sie in ihre eigenen Schlafsäle zu schicken. Von den zwei Hausvätern (Matthew und Sam), die vor den Schlafräumen neben uns standen, inspiriert, schauten wir im Flur, der zum runden Innenhof hin offen ist, zu dritt in den Regen und wurden Zeugen der Karawanen an jüngsten Kindern, die zweimal pro Nacht im Halbschlaf aufs Klo begleitet werden, damit sie nicht ins Bett machen. Als wir uns dann wieder zurück in unsere Betten geschlichen hatten, sprachen wir flüsternd über diese tolle Erfahrung und schliefen glücklich ein und gut durch bis wir am nächsten Morgen von unseren Zimmernachbarinnen geweckt wurden. Um sieben Uhr (sonntags stehen die Kinder am spätesten auf) fingen nämlich alle mit dem Putzen der Schlafsäle und Flure, wodurch wir von der entsprechenden Geräuschkulisse sehr unterschiedlich wacher Kinder und den auffordernden Rufen der Hauseltern geweckt wurden. Während wir drei uns beim Aufwachen unterhielten, wurden wir von Linda aus der dritten Klasse zurechtgewiesen, wir sollten doch bitte erst unsere Betten machen, bevor wir anfingen zu quatschen. Entsprechend machten wir uns daher recht zügig mit unserem Bettzeug zurück in unsere Wohnung, um dort unsere Betten zu machen und zu frühstücken, bevor wir mit den Mathe-Spielen begannen. So viel haben wir von dieser Erfahrung gewonnen und so häufig werden wir nun von den begeisterten Kindern nach einer Wiederholung gefragt, die wir auf jeden Fall durchführen werden.
Zu guter Letzt dieses langen letzten Updates noch die Geschichte des Aufpeppelns eines ungewöhnlicheren Shangilia-Mitglieds: letztes Jahr war Shangilia eine Baby-Katze zugelaufen, die beschlossen hatte, trotz aller Widerstände hier zu bleiben. Da Katzen in vielen afrikanischen Ländern, so auch in Kenia, eher weniger geduldet werden, da sie im Gegensatz zu Hunden keinen ersichtlichen Nutzen haben, stößt „Piwi“, wie der Kater genannt wird, immer wieder auf sehr unfreundliches Verhalten von allen Seiten. So fehlt ihr schon ein Auge und aufgrund der eher zufälligen und wiederwilligen Nahrungsversorgung ist sie extrem dünn. Vor ein paar Tagen spitzte sich ihre Situation aber durch eine Rachenverletzung unbekannten Ursprungs zu, denn dadurch konnte sie überhaupt nicht mehr fressen. Teresa und Theresa, unsere Katzenliebhaber (ich bin leider allergisch), nahmen sich Piwi deshalb kurzerhand liebevoll an. Sie hat jetzt ein Körbchen (ein umfunktionierter Wascheimer) vor unserer Wohnung und wird bestmöglich gefüttert. Praktischerweise ist der Freund eines Freundes von uns hier Tierarzt und ist sowieso zwischendurch immer mal wieder hier zu Besuch. Er konnte die zwei Katerretterinnen dann auch noch fachlich unterstützen.
So, jetzt sind wieder alle halbwegs auf dem neusten Stand und freuen sich auf meinen nächsten und letzten Beitrag zum Thema Abschied – wie überraschend. Viel Spaß beim Lesen und bis bald!