Ein Besuch in Kibagare

 

Zur Shangilia-Familie gehören nicht nur die fast 90 „In-House-Kids“, die dauerhaft in Shangilia leben, sondern auch die über 90 Kinder, die hier von außerhalb zur Schule gehen. Weil wir mit den sogenannten „Community-Kids“ im Unterricht und in der Freizeit ebenfalls sehr viel Zeit verbringen, wollten wir wissen, wie diese Kids außerhalb Shangilias leben. Denn auch wenn wir viele der Kinder tief ins Herz geschlossen haben und wir schon öfter durch den angrenzenden Slum Kibagare gelaufen sind, hatten wir keine Vorstellung davon, wie es bei den Kindern zu Hause aussieht. Also haben wir mit Teacher Ken gesprochen und nach ein paar „Arrangements“ sind wir zusammen mit ihm und Teacher Cate losgegangen, um ein paar Familien in Kibagare zu besuchen. Der eher kleine Slum besteht mehr oder weniger nur aus einer „Hauptstraße“ von der winzige Gässchen zu den Häusern in der zweiten und dritten Reihe führen. Auf der Hauptstraße findet man eine kostenpflichtige öffentliche Toilette – die meisten Familien besitzen zu Hause keine Toilette – kleine Geschäfte und Lebensmittelläden sowie ein paar „Kirchen“, eine Schule und Friseurläden. Den ganzen Weg entlang trifft man immer wieder auf Gruppen spielender Kinder in jedem Alter. Der wichtigste englische Satz, den auch schon die kleinsten kennen ist „How are you?“. Dieser wird wenn nötig auch viele Male hintereinader wiederholt, bis wir den Kids ein High Five, ein Lächeln oder ein „Fine, and how are you?“ geschenkt haben. Dabei reicht das Englisch oft nur bis zu diesem Satz, denn unsere Rückfrage bleibt meistens unbeantwortet.

Unsere erste Station führte uns durch ein paar der kleinen Gassen, die nicht viel breiter als ein Mensch sind, zu Brenda und ihrem kleinen Bruder Elius. Brenda ist in Klasse drei, aber kaum größer als die meisten aus der Vorschule. Ungeachtet ihrer Größe ist sie ziemlich clever und in ihrer Klasse eine der Besten. Außerdem lächelt sie uns grundsätzlich etwas schüchtern an, ist immer freundlich und will später Pilotin oder Ingeneurin werden. Ihr Bruder Elius geht in die zweite Klasse und ist wie seine Schwester dort der Kleinste und ein eher ruhiger Vertreter. Trotz seiner kurzen Beine kann er beim Sprinten mit den Schnellsten der Klasse mithalten und es sieht aus, als würde er über den Skatepark fliegen. Von den beiden und ihrem noch kleineren Bruder wurden wir dann zu ihrem Haus geführt. Dort angekommen mussten wir erst einmal schlucken. Das Haus steht auf einem einfachen Fundament und hat fensterlose Wände aus Wellblech. Die ganze Familie Mutter, Vater und die drei Kinder leben in einem Raum, der keine zehn Quadratmeter groß ist. Den Großteil des Raumes nimmt ein Bett ein, in dem alle Platz finden müssen und im vorderen Teil wird gekocht. Die Decke war gerade mal so hoch, dass Felix (1,87m groß) aufrecht stehen konnte. Da wurde uns klar, warum man immer so viele Kinder auf der Straße sieht. Für viele ist das zu Hause eher nur ein Schlafplatz und das Leben findet eben draußen auf der Straße oder vor dem Haus statt. Nach einer kurzen Unterhaltung mit Ken und Brendas und Elius Mutter darüber, wie sich die zwei so in Shangilia machen, begleiteten uns die Kids wieder nach draußen. Zwischen den Hütten erkannten wir dabei die gewaschenen Uniformen der Zwei, die zum Trocknen auf einer provisorischen Wäscheleine hingen.

Anschließend ging es in eine Gegend etwas abseits der Hauptstraße mit mehreren zweistöckigen Häusern, die tatsächlich schon mehr nach Häusern, wie wir sie uns vorstellen, und nicht nach Hütten aussahen. Aber auch hier war alles aus Wellblech. Dort besuchten wir Innocent aus Klasse sieben und seinen Bruder Crispin (Klasse vier). Zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und ihren Eltern leben auch sie in einem ähnlich kleinen Raum, der aber etwas besser ausgestattet ist. Im vorderen Teil standen zwei Sofas und sogar ein Fernseher. Als wir ankamen, war Innocent gerade dabei Hausaufgaben zu machen und Crispin schaute gleichzeitig einen Film. Wenn zwei Lehrer zum Spontanbesuch kommen, durfte eine kleine Anspielung darauf seitens derer natürlich nicht fehlen. Im hinteren Teil, abgetrennt durch Stofftücher, standen zwei Betten. Es war erstaunlich zu sehen, dass es hier trotz allem große Unterschiede in den Häusern gibt, auch wenn auf den ersten Blick für uns alles gleich aussah.

Als wir eigentlich schon auf dem Rückweg waren lief uns Chris aus Klasse zwei über den Weg. Da hier alles sehr spontan ist sind wir dann noch bei ihm und seiner Familie eingekehrt. Auch hier musste alles in dem kleinen Raum Platz finden. In der einen Hälfte standen Sofas und ein Kocher, in der anderen die Betten. Der Unterschied hier war, dass in dem kleinen Zimmer ein kleiner Flachbildfernseher mit Surround Anlage sowie ein Schrank mit Geschirr stand. Am meisten Begeisterung löste bei Ken dabei der Kocher aus, der weder mit Gas noch mit Strom sondern mit Öl betrieben wird. Stolz führte uns Chris Mutter diesen kurzerhand vor.
Von Cate und Ken erfuhren wir später, dass Chris letztes Jahr nach Shangilia kam, kurz nachdem seine Großmutter verstarb. Bis dahin habe er mit seiner Mutter und seinen kleinen Brüdern bei ihr gelebt. In dieser Zeit habe die alleinerziehende und noch sehr junge Mutter von Chris vor sehr vielen Herausforderungen gestanden und unter anderem daher habe Chris den Platz in Shangilia bekommen. Mittlerweile sei die Situation bei ihm zu Hause etwas besser, allerdings müsse sich die Mutter als Erstgeborene auch noch ab und zu um ihre Geschwister kümmern.

Gegenüber von Chris lebt Asumpta aus Klasse acht. Bei ihr gab es leider zur Zeit kein Licht und wie bei allen anderen auch keine Fenster, daher wurde mit Handytaschenlampen provisorisch für Licht gesorgt. Die Wohnung liegt in einem zweistöckigen Gebäude direkt an der Hauptstraße und besteht aus mehreren Räumen. Es gibt ein Wohnzimmer mit zwei Sofas und mehreren Sesseln, eine Schlafnische, eine Art Küche und ein Kinderzimmer. Zwar alles immer noch sehr einfach mit Wellblech und Holz, aber im Vergleich zu dem was wir vorher gesehen hatten deutlich geräumiger. Im Wohnzimmer saßen wir dann im Dunkeln und wurden von Asumptas Vater herzlich Willkommen geheißen. Mit etwas Verzögerung verstanden wir die für uns zuerst komplizierten Familienverhältnisse. Asumpta ist nämlich die Tante von Ashley, die in Shangilia in die fünfte Klasse geht. Da Asumpta die mit großem Abstand Letztgeborene ihres Vaters ist, haben ihre Geschwister teilweise schon Kinder in ihrem Alter. In der Wohnung leben also drei Generationen zusammen.

Dieser Tag in Kibagare wird uns wahrscheinlich noch einige Zeit begleiten. Die herzliche und offene Art, mit der wir empfangen wurden, die unbeschreiblichen Unterschiede zu unserem Leben und das Gefühl, dass das nicht ansatzweise gerecht ist. Und trotzdem fühlt es sich richtig an, dass wir jetzt ein etwas besseres Bild davon haben, wie die Kinder leben, mit denen wir so viel Zeit verbringen und die uns so ans Herz gewachsen sind